Man muss doch auch mal müssen müssen!

Oder: wie lernen Kinder unliebsame Dinge zu tun?

Und warum muss ich?

Letzte Woche haben wir in einer Fachkraftweiterbildung wieder darüber diskutiert: Ob Kinder lernen müssen zu müssen. Kinder müssten doch lernen, Dinge zu tun, die ihnen keinen Spaß bereiten. Wir hätten doch alle gelernt – das Leben sei kein Ponyhof – und gerade mit Blick auf die Schule sei es doch sehr bedeutsam auch mal müssen zu müssen. Doch stimmt das wirklich? Wie stehst du dazu? Wie immer freuen wir uns über deine Meinung.

Unsere Meinung erfährst du in der folgenden dreiteiligen Reihe.

Heute also Teil 1 mit folgender Frage:

Wo kommt „müssen“ müssen denn eigentlich her?

Ich bin fest davon überzeugt, dass es sich hierbei um sogenannte Meme handelt. Meme sind gesellschaftlich verankerte Überzeugungen, die wir von unseren Eltern oder anderen Autoritätspersonen übernommen haben. Meme sehen, hören und riechen wir nicht und dennoch sind sie da.

Jeder von uns nimmt sie wahr und reagiert darauf: der eine übernimmt Meme, der andere macht genau das Gegenteil davon. Meme gibt es nicht nur im Zusammenhang mit Kindererziehung, sondern in allen Lebensbereichen.

Beispiele für solche Meme können sein: „Ohne Fleiß kein Preis“ oder „schaffe, schaffe Häusle baue“. Hier haben es die Meme sogar zu Sprichwörtern gebracht. Aber auch alle anderen Überzeugungen, für die es keine logische Erklärung gibt, sind oft Meme.

In der Transaktionsanalyse gibt es ein wunderbares Modell, das hier Klarheit schafft. Das sogenannte Ich-Zustands-Modell. Dieses Modell sagt aus, dass wir nie nur eine Handlungsoption haben, sondern drei verschiedene Ich- Zustände, die situativ passend eingesetzt werden können. Jeder von uns kann folglich jederzeit neu entscheiden, aus welchem Ich-Zustand heraus er reagieren will.

Das Ich-Zustands-Modell

Die drei verschiedenen Zustände sind: Eltern-Ich, Erwachsenen-Ich und Kind-Ich.

blog_muessen

Eltern-Ich (EL): Kurz zusammengefasst reagiere ich im Eltern-Ich so, wie ich es von meinen Eltern oder anderen Autoritätspersonen früher übernommen habe.

Erwachsenen-Ich (ER): Aus dem Erwachsenen-Ich heraus reagiere ich so, wie es nach allen mir zur Verfügung stehenden Indikatoren zur momentanen Situation passt.

Kind-Ich (K): Wenn ich im Kind-Ich bin, reagiere ich so, wie ich als Kind emotional gelernt habe zu reagieren.

Im Eltern-Ich bist du immer dann, wenn du statt ICH auch MAN sagen könntest.

Zum Beispiel: vor dem Essen wäscht MAN sich Hände, MAN spricht nicht mit vollem Mund, MAN sagt bitte und danke, MAN schlägt sich nicht, usw.

Im Erwachsenen-Ich bist du, wenn du vor deiner Reaktion überlegst, was situationsangemessen sein könnte. Z.B. geht das Kind, das gerade Wasserfarben gemalt hat, Hände waschen, das Kind, das vom Buch angucken kommt, geht direkt zum Tisch.

Im Kind-Ich reagierst du emotional – z.B. wenn du Angst vor Spinnen hast und ich sage: „guck mal die Spinne über dir“ und du sofort aufschreist oder unter dem Tisch sitzt.

Bestimmt fallen dir jetzt schon ganz viele Beispiele ein.

Kurz und knapp an einem Beispiel erklärt

Ich verdeutliche dir die drei verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten mal an einem Beispiel: Manche von uns sind mit der Regel – abends gibt es nichts Süßes aufgewachsen. Wenn das für mich heute noch gilt, ist das ein von früher übernommener Mechanismus. Wenn ich diesen Grundsatz als Regel aufstelle, bin ich im Eltern-Ich: „Man isst abends nichts Süßes!“, unabhängig davon, ob das Kind heute schon etwas Süßes hatte  oder nicht. Im Erwachsenen-Ich würde ich abwägen: Wieviel Süßes hatte das Kind heute schon? Wenn es bereits drei Eis, zwei Nutellabrote und Bonbons hatte, würde ich situationsangemessen entscheiden, genug Süßes heute. Hatte das Kind noch nichts oder wenig Süßes, kann es durchaus ein süßes Brot essen.

Im Kind-Ich würde ich emotional auf die Bitte des Kindes reagieren. Je nachdem was ich als Kind diesbezüglich erlebt habe. Entweder motzig – was fällt dir ein, du hattest schon viel Süßes oder freudig, au ja ein Nutella-Brot, wie lecker. Im Vordergrund steht hier dein eigenes Gefühl.

Du entscheidest über deine Reaktionen

Normalerweise laufen unsere Reaktionen automatisiert ab. Mit diesem Wissen aus der Transaktionsanalyse kannst du ab sofort bewusst entscheiden, aus welchem Ich- Zustand heraus du reagieren willst.

Immer wenn du aus dem Eltern-Ich heraus reagierst, übernehmen die Meme die Regie. Wir handeln aufgrund früherer Erlebnisse und althergebrachter Überzeugungen.

Dann wird es oft „hakelig“ mit den Kindern – ganz einfach, sie kennen unsere früheren Erlebnisse ja nicht. Deshalb sind unsere Überzeugungen für Kinder dann nicht nachvollziehbar. Und je mehr Kinder gegen unsere Meme protestieren, um so mehr pochen wir auf Gehorsam. Ganz einfach weil das das Muster ist, mit dem die meisten von uns aufgewachsen sind. Im autoritären Erziehungsstil gilt Paragraph 1 die Eltern/Lehrer/Erwachsenen haben immer Recht. Und Paragraph 2: sollten die Eltern/Lehrer/Erwachsenen ausnahmsweise mal nicht Recht haben, tritt automatisch Paragraph 1 in Kraft.

Erziehung verfolgt immer Ziele – bewusst oder unbewusst!

So machen wir uns den Alltag selber schwerer als nötig und wir dürfen uns über unsere Ziele klar werden. Welches waren denn die Erziehungsziele des autoritären Erziehungsstils? Ja richtig, Ziel dieser Zeit waren willige, anpassungsfähige und gehorsame Erwachsene. Weil diese gute Arbeitskräfte für die aufstrebende Industrie waren. Heute brauchen wir mündige Bürger, eigenverantwortliche und kreative Köpfe, die unsere Gesellschaft weiterentwickeln und dazu beitragen, die drängenden Probleme unserer Zeit zu lösen. Entsprechend ist es wichtig, dass Kinder verstehen, was wir von ihnen wollen, dass sie verstehen, warum wir handeln wie wir handeln und unsere Ziele zu ihren eigenen machen. Wenn wir im Erwachsenen-Ich agieren und reagieren unterstützen wir Kinder genau darin. Und es wird viel leichter mit den KollegInnen eine gemeinsame Linie zu finden. Natürlich kannst du auch mal bewusst ins Kind-Ich oder ins Eltern-Ich wechseln. Das Zauberwort dabei ist „bewusst“. Du tust es als pädagogische Intervention, bei der du ein bestimmtes vorher definiertes Ziel verfolgst.

Aufgabe für die Woche

Reflektierte doch mal deinen Alltag: Wo handelst du situationsangemessen aus dem Erwachsenen-Ich? Und wo leitet dich dein Eltern-Ich? Und wie könntest du in Zukunft häufiger aus dem Erwachsenen-Ich heraus reagieren?

Danke 🙂

…dass du dir die Zeit genommen hast, meinen Artikel zu lesen.

Hat er dir gefallen? Hast du eigene Erfahrungen dazu, oder eine Frage? Dann schreib´ uns hier in die Kommentare, das würde mich riesig freuen!

Und denk immer daran: Wenn die Erzieher glücklich sind, geht es den Kindern gut. Und gemeinsam schaffen wir eine Welt, in der es sich zu leben lohnt!

Ich wünsche Dir noch einen wunderschönen Tag!

unterschrift-uli

4 Kommentare

  1. Charlotte

    Wie deutlich und einfach auf den Punkt gebracht. Danke

    • ulibott

      Liebe Charlotte,
      vielen Dank, wir freuen uns über deinen Kommentar! Herzliche Grüße Uli

  2. Nicole.Horn@gmx.net

    Liebe Uli,
    … es sind so einfache Dinge dessen man sich nur bewusst werden muss, woher sie stammen und welche Auswirkungen sie auf die Beziehung zum Kind haben.Ich finde es ganz toll, das ihr auch viele Beiträge kostenfrei anbietet. Diese regen zum Nach- und Umdenken an und sind eine große Unterstützung/Hilfe im Arbeitsalltag.Ich bin begeisterte Leserin und Zuhörerin deiner Kurse und Mails geworden und freue mich Vieles davon nach meiner Elternzeit auszuprobieren und umzusetzen.Großes Lob an dich und dein Team!!!
    Danke und viele Grüße von Nicole

Trackbacks/Pingbacks

  1. Unstimmigkeiten im Team? - Lösung: Der pädagogische Dreiklang - ubstairs - Fortbildungsinstitut - […] wer zum Beispiel ein starkes Eltern-Ich hat (hier findest Du einen Artikel zum Ich-Zustandsmodell), der wird sich schwerer tun,…
  2. Lass uns eine Welt voller Diamanten erschaffen - ubstairs - Fortbildungsinstitut - […] so bedeutsames Thema ist. Hier findest du übrigens die anderen Artikel zum Thema „Müssen“: #1 “Man muss doch auch mal…
  3. Entdecke die Kraft in Dir! - ubstairs - Fortbildungsinstitut - […] Kinder müssen müssen?“ erscheinen. (Hier findest du übrigens die ersten beiden Artikel: #1 “Man muss doch auch mal müssen…

Einen Kommentar abschicken

Bild: © motorradcbr / fotolia.com

ubstairs on air

Mein Buch "Stressfrei und gelassen" kannst du hier bestellen:

Und hier geht´s zum einzigen deutschen Podcast für pädagogische Fachkräfte:


Mein Buch „Stressfrei und gelassen“ kannst du hier bestellen:

Und hier geht´s zum einzigen deutschen Podcast für pädagogische Fachkräfte: